Ausländerkinder drei Schuljahre zurück
Von Carsten Volkery
Nirgendwo sind Einwandererkinder der zweiten Generation schlechter in der Schule als in Deutschland. Obwohl sie hier aufgewachsen sind, hat ein großer Teil nicht mal Basiskenntnisse in Mathe und Lesen. Bildungsministerin Schavan verspricht einen "Masterplan".
Es ist fast schon ein Ritual: Jedes Mal, wenn die OECD eine neue Detailauswertung ihrer Pisa-Studie von 2003 vorlegt, kann Deutschland sich auf ein "Ungenügend" gefasst machen. Heute teilten die Bildungsforscher in Berlin mit, dass Deutschland auch bei den Schulleistungen von Einwandererkindern weit hinten landet.
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Neues vom Pisa-Puzzle: Migrantenkinder schneiden schlecht ab
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), nannte die Ergebnisse "mehr als bedrückend". Untersucht wurden Neuntklässler vor allem auf ihre Lesefähigkeit und Mathematikkenntnisse. Über 25 Prozent der Kinder der ersten Generation, die im Ausland geboren und mit ihren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, erreichen demnach nicht die Kompetenzstufe Zwei der sechsstufigen Pisa-Skala. Im Vergleich mit den anderen 16 untersuchten OECD-Staaten rangiert Deutschland damit im letzten Drittel.
Bei den Leistungen der zweiten Generation liegt Deutschland sogar auf dem letzten Platz. In dieser Gruppe, die hier geboren wurde, erreichen 47 Prozent nicht das Basisniveau. Dies finden die OECD-Forscher besonders erschreckend, da diese Kinder ihre gesamte Schulzeit in Deutschland verbracht haben. In Mathematik beispielsweise erreicht die zweite Generation neunzig Pisa-Punkte weniger als die deutschstämmigen Schüler. Das entspricht drei vollen Schuljahren.
Das Leistungsgefälle zwischen der ersten und zweiten Generation dürfe aber nicht nach dem Muster interpretiert werden, die Situation der Migranten werde "schlechter, je länger sie in Deutschland sind", sagte die Ko-Autorin der Studie, Petra Stanat. Es handele sich nicht um eine Langzeitstudie, sondern um einen Vergleich zweier unterschiedlich zusammengesetzter Kohorten zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich im Jahr 2003. Die erste Generation sei von Aussiedlerkindern dominiert, während die zweite Generation von türkischen Kindern geprägt sei.
Problem Hauptschule
Während in Deutschland die Kluft zwischen den einheimischen Schülern und Einwandererkindern am größten ist, lobt die Studie die klassischen Siedlerländer Kanada, Neuseeland und Australien als vorbildlich: Einwandererkinder bringen hier eine vergleichbare Leistung. Die Studie nimmt die drei Länder als Beweis, dass hohe Zuwanderungsquoten nicht notwendigerweise die Integration behindern. Erleichtert wird dies allerdings dadurch, dass die Einwanderer aus sozial höheren Schichten kommen als in den meisten europäischen Ländern.
Als einen Grund für das besonders schlechte Abschneiden der zweiten Generation in Deutschland nannte die OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger die Konzentration benachteiligter Schüler in den Hauptschulen. Dort akkumulierten sich soziale Benachteiligung, kognitive Schwächen und Sprachprobleme. Sie sprach sich daher gegen die frühe Selektion im dreigliedrigen Schulsystem aus. Je länger die Schüler zusammenblieben, desto besser.
Mangelnde Motivation ist laut der Studie kein Erklärungsfaktor für schlechte schulische Leistungen. Einwandererkinder seien mindest genauso oder höher motiviert als ihre einheimischen Mitschüler. Deutschland kann sich auch nicht hinter dem Argument verstecken, dass die meisten Migranten aus bildungsfernen Schichten kommen und die Schulprobleme daher rühren. In Österreich und der Schweiz schneiden beispielsweise die Kinder türkischer Einwanderer besser ab als hier. Woran das liegt, konnten die OECD-Vertreter nicht erklären.
Sprachförderung und ein "Masterplan"
Einen messbaren negativen Einfluss hat es allerdings, wenn im Elternhaus nicht die Landessprache gesprochen wird. Um den Rückstand aufzuholen, seien zusätzliche Sprachförderung und Lehrerausbildung vonnöten. Länder mit klaren Sprachförderungsprogrammen hätten in der Pisa-Studie besser abgeschnitten, erklärte Stanat. Dazu zählen Australien, Kanada und Schweden. Hier gebe es klare Standards und Leistungstests.
Bei der Pressekonferenz anwesend waren auch Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) und Böhmer, die Staatsministerin im Kanzleramt. Die drei Politiker wirkten nicht besonders glücklich auf dem Podium, weil sie sich bereits die Schlagzeilen über die Misere ausmalten.
Schavan wies darauf hin, dass es ganz hervorragende Schulen mit hohem Migrantenanteil gebe, über die viel zu wenig berichtet würde. Auch stammten die Daten der vorliegenden Studie ja aus dem Jahr 2003 und spiegelten daher noch gar nicht die Wirkung der seither ergriffenen Maßnahmen wider. Auch Böger, Vizepräsident der Kultusministerkonferenz, erinnerte daran, dass die Länderminister gleich nach der ersten Pisa-Veröffentlichung einen Schwerpunkt auf Sprachförderung gelegt hätten.
Obwohl Schavan vor "Aktivismus" warnte, fühlte sie doch gezwungen, ein "stimmiges Integrationskonzept" anzukündigen, in dem alle Einzelmaßnahmen gebündelt würden. "Mit Appellen wird es nicht getan sein", sagte die Ministerin. Nötig seien höhere Investitionen. Die Merkel-Vertraute Böhmer plädierte dafür, "den Blick erstmal aufs Elternhaus zu richten". Den Müttern komme die entscheidende Rolle zu, damit die Weichen besser gestellt werden könnten. Zusätzlich versprach sie Sprachförderung "vom Kindergarten bis zum Berufseinstieg".
Auf die Frage, ob der Bund sich denn überhaupt in die Länderdomäne Bildung einmischen könne, antwortete Schavan: "Die Öffentlichkeit interessiert sich nicht dafür, wer es darf, sondern wer es tut". Die Bundesregierung werde einen "Masterplan" vorlegen.